Keine Antibiotika, keine Diabetesmittel, keine Schmerzpräparate: „Das Problem der Arzneimittel-Lieferengpässe dauert weiter an und wird so schnell auch nicht verschwinden. Eine nachhaltige Lösung werden wir nicht zuletzt auf europäischer Ebene suchen müssen“, sagt Petra Hruby, Vorsitzende der Bezirksgruppe Borken im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). „Auch deshalb ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger am 9. Juni 2024 zur Europawahl gehen und sich mit den gesundheitspolitischen Positionen der Parteien auseinandersetzen“, fordert sie auf.
Auch wenn mit Blick auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine europäische Lösung erforderlich sei, müsse in der Gesundheitsversorgung grundsätzlich die mitgliedstaatliche Kompetenz gewahrt werden, so Petra Hruby. „Zum Beispiel müssen wir Apotheken vor Ort in Deutschland auch in Zukunft Rezepturen und Defekturen wie individuelle Salben und Cremes herstellen können, im Falle von Lieferengpässen aber auch Fiebersäfte und Zäpfchen. Wie wichtig diese Möglichkeiten sind, haben wir in der Corona-Pandemie wie auch in der Engpasskrise erfahren.“
Die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen müssten auf EU-Ebene genutzt werden, um Diagnose- und Therapieentscheidungen zu verbessern. „Zugleich aber ist der Schutz der persönlichen Patientendaten zu gewährleisten. Und wir dürfen im Zuge der Digitalisierung niemanden auf der Strecke lassen: Elektronische Packungsbeilagen können gedruckte Patienteninformationen nicht komplett ersetzen“, so Petra Hruby. „Wenn die Apotheken hier einspringen und papierene Beipackzettel zur Verfügung stellen sollen, dann darf dies nicht zu zusätzlichen Belastungen führen.“
Zudem fordert sie, dass sich die künftigen EU-Parlamentarier für den Erhalt der Freiberuflichkeit einsetzen. „Gerade im Gesundheitswesen ist der persönlich haftende Freiberufler die tragende Säule einer guten, verlässlichen und sicheren Patientenversorgung.“ Große Apothekenketten im Fremdbesitz eines ausländischen Kapitalgebers hingegen würden die Gefahr bergen, sich weniger am Patientenwohl, sondern vielmehr an den Interessen ihrer Geldgeber zu orientieren.
Das Ende der von einem persönlich verantwortlichen Inhaber geführten Apotheke drohe aktuell aber auch aus dem Inland: Die Bundesregierung denke derzeit darüber nach, in Deutschland Apotheken ohne Apotheker zuzulassen. „Soweit darf es nicht kommen“, so Petra Hruby. Denn dies würde dazu führen, dass Patienten gerade in ländlichen Regionen weitere Wege bis zur nächsten vollwertigen Apotheke mit Notdienst, Medikationsberatungen, Impfungen und vielen weiteren Leistungen zurücklegen müssten. Dem politischen Handlungsziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse liefe dies diametral zuwider. Die Arzneimittelversorgung sei also keineswegs nur auf EU-Ebene zu verteidigen. National müsse die Ampelkoalition Sofortmaßnahmen ergreifen, um die flächendeckende pharmazeutische Versorgung der Menschen sicherzustellen. Dazu gehöre auch, dem Apotheker als dem Experten für das Arzneimittel dauerhaft weitreichende Kompetenzen betreffend den Austausch von Arzneimitteln und Darreichungsformen einzuräumen, fordert Petra Hruby.
„Ein Drittel der Apotheken vor Ort ist wirtschaftlich gefährdet, weil uns die zuständige Politik seit 20 Jahren keinen Inflationsausgleich zugestanden hat.“ Mittlerweile müssten die Apotheken pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung, die sie an einen gesetzlich versicherten Patienten abgeben, 46 Cent draufzahlen. Dies sei bislang nur machbar gewesen, weil der pharmazeutische Großhandel die Apotheken durch Skonti subventioniert habe. Dies sei nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes nicht mehr möglich. „Hier muss die Politik ganz dringend eine Lösung finden“, so Petra Hruby, „wenn sie die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Apotheken aufrechterhalten will. Der Staat hat hier eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern.“
Sie fügt hinzu: „National muss die Politik ihre Kompetenzen voll ausschöpfen und die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bürger sowie das Apothekennetz sicher aufstellen. Nur wenn das Fundament solide ist, können sich auch die Vorzüge einer gemeinsamen europäischen Politik entfalten.“
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