Münster 23.05.2022
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Kassen lassen Medikamente von Apotheken bezahlen

Krankenkassen lassen sich die Arzneimittel für ihre Versicherten von den Apotheken vor Ort bezahlen. „Zu diesem Zweck nutzen sie kleinste Formfehler aus, die den Ärzten manchmal unterlaufen, wenn sie Rezepte ausstellen“, kritisiert Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL). Ein Beispiel von vielen: Aktuell lehnen einzelne Kassen eine Kostenübernahme ab, wenn die Mediziner den Dosierungshinweis auf der Verschreibung vergessen.

Seit Oktober 2020 müssen Ärzte die Rezepte mit Hinweisen versehen, wie oft ein Patient sein Arzneimittel einzunehmen hat. Wenn keine Information zur Dosierung auf das Rezept gedruckt ist, hält das Apothekenteam Rücksprache mit dem Arzt und ergänzt dann die Hinweise. In dringenden Fällen können die Apothekenmitarbeiter als Experten für die Arzneimitteltherapie die Dosierung selbst hinzufügen, wenn der Arzt nicht zu erreichen ist.

Kein Risiko für die Patienten

„Der Apothekenalltag ist jedoch häufig recht turbulent, gerade in Pandemiezeiten“, so Thomas Rochell. „Wenn Kunden draußen vor der Apothekentür im Regen Schlange stehen, um Abstand einhalten zu können, wenn nebenbei Diskussionen über die Echtheit eines Impfnachweises zu führen und auch noch Kollegen coronabedingt ausgefallen sind, dann kann ein Mitarbeiter verständlicherweise schon einmal übersehen, dass der Arzt den Dosierungshinweis nicht auf das Rezept gedruckt hat.“ 

Was der Mitarbeiter aber gewiss nicht versäumt: den Patienten zur korrekten Einnahme und auch zur Dosierung zu beraten. Dies sei schon allein deshalb erforderlich, weil der Patient das Rezept in der Apotheke abgeben muss und folglich die Dosierungshinweise gar nicht nachhalten kann. Zudem geben die formelhaften Dosierungshinweise keine weiteren, wesentlichen Informationen zur Einnahme eines Arzneimittels: Ob eine Tablette zum Beispiel morgens auf nüchternen Magen oder erst nach dem Frühstück geschluckt werden müsse, ob sich ein Medikament mit Milch oder Orangensaft vertrage – dazu berieten die Apotheken, damit das Arzneimittel richtig wirken könne. „Aus gutem Grund sind Apotheker durch Berufsethos, Berufsordnung wie auch die Apothekenbetriebsordnung dazu verpflichtet, stets die ausreichende und vollumfängliche Beratung der Patienten sicherzustellen – ungeachtet dessen, ob eine Dosierungsanweisung auf dem Rezept vermerkt ist oder nicht“, so Rochell. Die Sicherheit des Patienten sei also keinesfalls gefährdet, bloß weil ein Arzt eine Formalie auf dem Rezept vergessen habe.

Hohe Beträge

„Obgleich die Patienten die richtigen Arzneimittel erhalten und bestens versorgt werden, nutzen Kassen fehlende Dosierungsangaben oder andere kleine Formfehler der Ärzte aus, um den Apotheken vor Ort die Kosten für die Arzneimittel nicht zu erstatten“, kritisiert Rochell. Die Apotheken gehen nämlich in Vorkasse, wenn sie Patienten ein Medikament mitgeben. Gegen Vorlage der Rezepte bekommen sie später von den Kassen ihre Auslagen zurück. Dabei geht es nicht selten pro Rezept um vierstellige Beträge. 

Ein Beispiel: Eine Apotheke hat einen querschnittsgelähmten, inkontinenten Patienten mit einem hochpreisigen Arzneimittel versorgt, das der Arzt verordnet hatte. Weil die Praxis den Dosierungshinweis vergessen hatte, wollte die Kasse der Apotheke den Einkaufspreis von rund 5400 Euro nicht erstatten. Für ihre Arbeit hätte der Apotheke ein Honorar von gerade einmal 8,35 Euro für diese Arzneimittelpackung zugestanden plus drei Prozent des Einkaufspreises. Das Honorar allerdings sollte die Apotheke auch nicht bekommen. 

So hatten insgesamt 60 Apotheken in Westfalen-Lippe zuletzt Forderungen von zusammen 145.000 Euro gegenüber einzelnen, vor allem kleineren Kassen offenstehen – allein wegen der fehlenden Dosierungsanleitungen. Nicht auszudenken seien die Auswirkungen, wenn alle Kassen, auch die großen bei den Dosierungshinweisen so vorgingen. „Es gibt jedoch kein Argument, warum die Kassen die Kosten für die Arzneimittel nicht übernehmen und zudem die geleistete Arbeit nicht honorieren“, so Rochell. Dieses Vorgehen der betreffenden Kassen sei vertraglich und rechtlich nicht gedeckt. Den Kassen entstünde kein Schaden, wenn die Apotheken die verordneten Arzneimittel abgeben, obwohl Ärzte die Dosierungsinformation vergessen hätten. Im Gegenteil: Wenn die Apotheken den Patienten die Arzneimittel mitgeben, erfüllten sie deren berechtigte Ansprüche gegenüber den Krankenkassen.

Zermürbend

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe hat daher in allen Fällen Einsprüche eingelegt. Zu einem  Gutteil haben die Krankenkassen diesen bereits stattgegeben. „Damit aber ist der entstandene Schaden nicht geheilt“, so Rochell. „Die Dosierungsanleitungen sind nur ein Beispiel. Es gibt viele weitere Formfehler, die Krankenkassen dazu veranlassen, die Erstattung und Vergütung zu verweigern. Dieses Vorgehen der Kassen hat verheerende Nebenwirkungen: Es verunsichert die Apotheker massiv und macht sie zunehmend mürbe.“ Die Aussicht, dem Wareneinsatz wie auch dem Honorar ständig hinterherrennen zu müssen sowie die Angst vor dem finanziellen Risiko, beides niemals erstattet zu bekommen, erhöhten bei jungen, angestellten Apothekern gewiss nicht die Bereitschaft, sich selbstständig zu machen. 

Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig ein flächendeckendes Apothekennetz für die Versorgung der Menschen auch in Krisenzeiten ist. Rochell fordert: „Um dieses für die Zukunft zu sichern, muss die Politik zeitnah eine gesetzliche Regelung treffen, um solche Vollabsetzungen wegen kleiner Formfehler künftig zu unterbinden.“ 
 

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