Den Kamm der Digitalisierungswelle hätte man hier nicht erwartet: Die Stadtwald-Apotheke am Rande von Bottrop ist ein eher traditionelles Haus. Arzneimittel werden nicht auf wandhohen Bildschirmwänden virtuell präsentiert, sondern die Packungen liegen ordentlich aufgereiht in gediegenen Holzregalen. Weitere Vorräte sind in Schubladen, um bei Bedarf von den Mitarbeiterinnen geholt zu werden. Ein Automat, der die Arzneimittelpackungen mit einem Klick aus dem Lager hervorsucht, passt nicht in die Räume. Und dennoch wird hier derzeit die Zukunft geprobt: Die Stadtwald-Apotheke in Bottrop gehört zu den ersten Offizinen in Westfalen-Lippe, die E-Rezepte annimmt.
Seit Ende Dezember läuft die bundesweite Testphase. Eigentlich sollte das E-Rezept Anfang 2022 verpflichtend eingeführt werden. Doch kurz vor dem Start hat das Bundesgesundheitsministerium die Testphase verlängert. Zu viele Fragen waren aufgrund der kurzen Probezeit und der wenigen Testfälle noch offen, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren.
Diese offenen Fragen zu beantworten – dazu will Dorothee Wilms, Inhaberin der Stadtwald-Apotheke, nun beitragen. Vor 25 Jahren hat sie die Apotheke übernommen. 58 Jahre ist sie mittlerweile alt, also kein „digital Native“, der mit der Digitalisierung groß geworden ist. Dennoch stehen bei Dorothee Wilms bereits die Hardware und die Apothekensoftware für die E-Rezepte bereit. Das Team ist geschult. „Für viele unserer Patientinnen und Patienten wird das E-Rezept auf Dauer vieles einfacher und besser machen“, nennt sie einen der Gründe, warum sie sich beteiligt.
Ein weiterer Grund, warum sie bereits mitmachen kann, findet sich etwa 300 Meter von der Apotheke entfernt: Dort hat Sami Gaber seine Hausarztpraxis. Er treibt die Digitalisierung voran. Gleich im Eingang steht ein großes Terminal. „Hier können die Versicherten sich mit ihrer Karte selbst anmelden“, erklärt Sami Gaber. So müssten seine Beschäftigten weniger Zeit für die Organisation aufwenden und könnten sich mehr den Erkrankten widmen, erklärt er. Um Abläufe zu verschlanken, stellt er als einer der ersten Ärzte in der Region auch E-Rezepte aus. Bei einem einfachen Infekt müssen Versicherte schon heute nicht mehr in die Praxis kommen, sondern können die Videosprechstunde nutzen. Künftig bekommen sie auch das Rezept digital zugestellt.
Bei seinen Patientinnen und Patienten wirbt er deshalb dafür, dass sie sich von ihrer Krankenkasse eine neue NFC-fähige Gesundheitskarte besorgen sowie die dazugehörige Pin-Nummer. Ferner benötigen sie ein aktuelles Smartphone, das ebenfalls NFC-fähig sein muss. Das alles brauchen die Versicherten, um den Schlüssel zum E-Rezept, einen QR-Code, digital empfangen und dann mit einem Fingertipp an die vertraute Apotheke vor Ort senden zu können. Mit diesem Schlüssel kann die Apotheke auf das E-Rezept zugreifen, das Arzneimittel für den Patienten bereitlegen oder es ihm per Boten zustellen.
Für Versicherte, die diese „Ausrüstung“ nicht haben oder wollen, bleibt alles wie gewohnt. Sami Gaber gibt ihnen einen Papierausdruck mit. Oder er lässt sie den Code mit dem Smartphone abfotografieren. Mit dem Zettel bzw. dem Foto im Handy gehen die Patientinnen und Patienten dann in die Apotheke, zum Beispiel um die Ecke zu Dorothee Wilms. Hier wird der Code abgescannt und das Arzneimittel ausgeliefert. „Ich bin froh, dass ich mit Frau Wilms eine Apothekerin in der Nähe habe, die mitzieht, sodass wir gemeinsam die Abläufe einüben können“, sagt er.
Bei den ersten, noch vereinzelten Rezepten ist der Test reibungslos verlaufen, berichtet Dorothee Wilms. Von der Einlösung durch die Patientinnen und Patienten bis hin zur Abrechnung bei den Rechenzentren. „Wir hatten bislang aber auch nur einfache Fälle“, fügt sie hinzu. Nun müsse noch viel mehr getestet werden, um Problemfälle aufzudecken und Abläufe weiter zu verbessern. Mit ihrem Team nutzt sie die Testphase, um langsam in die neue Aufgabe hereinzuwachsen und sich auszuprobieren. Noch ist jedes E-Rezept ein bisschen aufregend. Bei einer der ersten digitalen Verordnungen, die in der Apotheke eingelöst werden, merkt man Dorothee Wilms die Freude an, dass in der Software alles korrekt abgewickelt ist und sie das Arzneimittel aushändigen kann.
Auf Dauer verspricht sie sich, dass viele Abläufe in der Apotheke schneller und unkomplizierter werden. Dass zum Beispiel manche bürokratische Kontrolle von Rezept-Formalien und mancher Regress der Krankenkassen entfällt. So bleibe ihrem Team am Ende mehr Zeit für die Kundinnen und Kunden, deren persönliche Betreuung, die Begleitung der Arzneimitteltherapie, die Beratung etwa bei Wechsel- und Nebenwirkungen sowie neue Dienstleistungen. „Das macht“, sagt Dorothee Wilms, „die Arzneimittelversorgung in den Apotheken vor Ort noch ein Stück sicherer.“
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