Wichtige Veränderungen kommen manchmal ganz unscheinbar daher: in diesem Fall auf einem schlichten Blatt, 210 Millimeter breit und 148 Millimeter hoch. Ein E-Rezept hätte sich Esther Mönninghoff etwas anders vorgestellt als den Zettel in ihrer Hand. Für die Patientin läuft der Start des E-Rezeptes ganz sanft an.
Wie die meisten anderen Patienten auch verfügt die junge Frau noch nicht über die technischen Voraussetzungen, um die elektronische Verordnung per App vom Arzt zu empfangen und der Apotheke zu übermitteln. Also drucken Ärzte derzeit meist einen QR-Code, den Schlüssel zum E-Rezept, auf Papier. Ganz analog gibt Esther Mönninghoff diesen in ihrer Apotheke ab. Große Ziele werden eben meist in Schritten erreicht.
Für Apotheker Jan Harbecke ist es nicht das erste E-Rezept, das in seiner Apotheke bearbeitet wird. Sieben sind bereits während der vorangegangenen Testphase bei ihm eingegangen. „Der Lernprozess ist schon groß“, schildert er seine ersten Erfahrungen. Nummer acht jedenfalls wird an diesem Morgen ganz reibungslos bearbeitet. „Wir sind gespannt, was auf uns zukommt“, so beschreibt Jan Harbecke, Vorstandsmitglied im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) seine Stimmung an Tag eins des Echtbetriebes. „Gespannt – und gut motiviert“, fügt er hinzu. Westfalen-Lippe ist Modellregion für das E-Rezept. Hier sollen Ärzte von diesem Donnerstag an zunehmend elektronische Verordnungen ausstellen. Läuft es mit dem E-Rezept in der Region gut, folgen in den kommenden Monaten Ärzte in anderen Bundesländern.
Jan Harbecke ist froh, vorn dabei zu sein: „So können wir mitgestalten, Probleme entdecken und dafür Lösungen finden“, sagt er. Dass es immer einmal wieder zu kleineren Schwierigkeiten kommen kann, hält er für wahrscheinlich, auch wenn an diesem Vormittag alles rund läuft. Denn in diesem Prozess müssen von Ärzten über Apotheken, Abrechnungszentren bis hin zu Krankenkassen eine Reihe von Akteuren mit einer Vielzahl verschiedener Softwarelösungen und allen Schnittstellen reibungslos zusammenspielen. Bis alle Varianten ausgetestet sind, wird es eine Weile dauern: Rund 450 Millionen Rezepte werden bundesweit für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen jährlich ausgestellt. Seit Januar dieses Jahres sind gerade einmal rund 190.000 E-Rezepte getestet worden.
Doch am Ende wird sich die Mühe lohnen, davon ist Jan Harbecke überzeugt. Besonders für die Patienten, aber auch für die Apotheken. „Das E-Rezept macht vieles einfacher und schneller“, sagt er. Patienten könnten die Verordnung künftig per App in die Apotheke schicken, Medikamente vorbestellen und sich auf Wunsch die Arzneimittel per Boten schicken lassen. Für die Apotheken wird vor allem der bürokratische Aufwand geringer. Wenn Ärzten zum Beispiel beim bisherigen analogen rosafarbenen Rezept ein kleiner Formfehler unterläuft, können Apotheken das Arzneimittel nicht ohne Weiteres an den Patienten abgeben. Bemerken die Apotheken den Formfehler des Arztes nicht, kürzen die Krankenkassen unter Umständen die Vergütung der Apotheke. In der neuen digitalen Welt sollen solche fehlerhaften Rezepte nicht mehr vorkommen.
Weniger Bürokratie bedeutet für Jan Harbecke zugleich mehr Zeit, um die Patienten intensiver zu beraten und zu betreuen, ihnen weitere Dienstleistungen anzubieten wie ausführliche Medikationsanalysen. Dafür fehlen in der Branche, die massiv unter einem Fachkräftemangel leidet, aktuell oft die Kapazitäten.
Dass die Patienten den Schlüssel zum E-Rezept derzeit noch auf Papier ausgehändigt bekommen, hält der Apotheker für das größte Ärgernis in der Startphase. Im kommenden Jahr soll sich das ändern: Dann kann das E-Rezept in der Apotheke mit der Gesundheitskarte des Patienten abgerufen und eingelöst werden. Das würde Patienten zumindest einen Weg ersparen: den in die Praxis, wenn sie sich zum Beispiel per Videosprechstunde beraten lassen. Große Ziele werden eben Schritt für Schritt erreicht.
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