Äußerst kritisch hat Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen Lippe (AVWL), auf Äußerungen der AOK-Chefin Dr. Carola Reimann zur Honorierung der Apotheken vor Ort reagiert. Beim Herbstfest des AOK-Bundesverbandes soll dessen Vorstandsvorsitzende begrüßt haben, dass die Bundesregierung das Apothekenhonorar auch nach 20 Jahren Stagnation aktuell nicht anheben will. Hier sei endlich „Realitätssinn“ eingekehrt, wird Dr. Reimann im Branchenmedium Apotheke Adhoc wörtlich zitiert. „Sollte diese Darstellung zutreffend sein, können wir der AOK-Vorstandsvorsitzenden nur kompletten Realitätsverlust bescheinigen“, so Thomas Rochell.
Apotheken ersparen Kassen Milliardenbeträge
Bei allem Verständnis für die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherungen sei es nun einmal Realität, dass die Apotheken vor Ort eine hochqualitative, flächendeckende Versorgung auch der AOK-Versicherten sicherstellten – und zwar selbst in Zeiten massiver Lieferengpässe, die nicht zu-letzt durch Rabattverträge der Krankenkassen mit ausgelöst worden seien. Indem die Apotheken diese Rabattverträge erfüllten, sparten sie für die Krankenkassen Milliardenbeträge: „Im Jahr 2024 waren es 6,2 Milliarden Euro“, rechnet Thomas Rochell vor.
„Hinzu kommen 2,5 Milliarden Euro aus den Zuzahlungen der Patienten. Pro verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung müssen die Versicherten einen Eigenanteil von fünf bis zehn Euro leisten. Diesen Betrag müssen die Apotheken für die Kassen einziehen und weiterleiten.“ Honoriert würden die Apotheken für diese Arbeit, die sie den Kassen abnehmen müssten, nicht. Obendrein kämen noch hohe Therapiekosten, von denen Apotheken die Kassen entlasteten, zum Beispiel durch Impfungen, Präventionsleistungen wie Blutdruckchecks, Inhalationsberatungen, Vermeidung von Medikationsfehlern sowie Beratungen zur Selbstmedikation der Patienten.
„Gerade einmal 1,8 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen entfallen auf die Apotheken vor Ort. Dieser Anteil sinkt seit Jahren“, so Rochell. Für die eigenen Verwaltungen gäben die Kassen mehr als doppelt so viel aus (3,9 Prozent). „Da muss man sich erst recht fragen, warum nicht eine Diskussion über Einsparungen bei den gesetzlichen Krankenkassen aufgemacht wird? Stattdessen fokussiert die aktuelle Debatte – mal wieder – nur auf Einsparungen bei den Leistungserbringern.“
An den Apotheken vor Ort werde nunmehr seit mehr als 20 Jahren gespart: Seit dem Jahr 2004 sei die staatlich geregelte Vergütung pro abgegebener Arzneimittelpackung nur ein einziges Mal um wenige Cent erhöht worden. Ein Viertel der Apotheken vor Ort sei mittlerweile massiv wirtschaftlich gefährdet. Mehr als 20 Prozent der Apotheken hätten in den vergangenen 20 Jahren schließen müssen. Alles belegte Wirtschaftsdaten, die auch einer Frau Dr. Reimann bekannt seien. „Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung eine Honorarerhöhung für die Apotheken vor Ort vereinbart. Diese muss nun schnellstmöglich umgesetzt werden, um das Apothekensterben endlich zu beenden. Alles andere wäre ein Risiko für die Versorgung der Patienten, auch der AOK-Versicherten“, so Thomas Rochell. „Es käme die Kasse teurer zu stehen als die dringend erforderliche Anpassung.“
In anderen Bereichen kalkulierten die Kassen Jahr für Jahr Kostensteigerungen und Honorarerhöhungen in ihrer Haushaltsplanung ein. „Es wäre gut, wenn sie dies endlich auch für die Apotheken vor Ort täten“, so Rochell. „Das wäre echter Realitätssinn und würde darüber hinaus belegen, dass das richtige und wichtige Prinzip der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen auch noch im Verhältnis zu den Apotheken gilt. Die Äußerung von Frau Dr. Reimann ist dagegen einmal mehr beredtes Beispiel dafür, wie häufig die Selbstverwaltung durch die Krankenkassen bewusst an ihre Grenzen geführt oder gar blockiert wird. Um die offensichtlichen Missverständnisse auf Seiten von Frau Dr. Reimann aufzulösen, lade ich Sie gern zu einem klärenden Austausch ein.“
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