Die Apotheken vor Ort stärken – mit diesem Ziel ist die neue Bundesregierung angetreten. Doch mit den Plänen, die das Bundesgesundheitsministerium nun vorgelegt hat, werde genau das Gegenteil erreicht: Die Apotheken vor Ort würden massiv geschwächt. Davor hat jetzt Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), gewarnt. „Der Reformentwurf enthält mehrere Sprengsätze, die geeignet sind, das Fundament unseres Apothekensystems komplett zu zerstören“, kritisierte er auf der diesjährigen Mitgliederversammlung des AVWL. Die größte Explosionsgefahr sieht er darin, „dass die Chance ausgelassen wird, die Arzneimittelpreisbindung rechtssicher zu regeln“.
Denn nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Juli 2025 stehe diese Preisbindung nur noch auf tönernen Füßen, erläuterte Rochell. Selbst wenn sich das Urteil auf eine Altregelung beziehe, so stehe doch zu befürchten, dass auch die aktuelle Regelung künftig in weiteren Gerichtsverfahren angegriffen werde, warnte Rochell. „Wenn jedoch die Preisbindung kippt, dann kippt mit ihr die Apotheke vor Ort.“ Dann könne auch eine Erhöhung der Vergütung das Apothekensterben nicht mehr beenden. „Es spielt in diesem Fall keine Rolle mehr, ob wir eine Packungspauschale von 9,50 Euro oder 15 Euro bekommen.“ Deshalb müsse der Berufsstand geschlossen und mit Hochdruck daran arbeiten, dass gemeinsam mit der Bundespolitik eine Lösung zur Sicherung der Preisbindung gefunden werde.
Für hochbrisant hält der AVWL-Vorsitzende zudem die Pläne der Bundesregierung für eine PTA-Vertretungsbefugnis. „Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Wir Inhaberinnen und Inhaber in Westfalen-Lippe wissen die Fähigkeiten und die Leistungen unserer PTA absolut zu schätzen“, schickte Rochell vorweg. „Ohne sie würde es keine Apotheke vor Ort geben. Wir sehen auch die Notwendigkeit, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, neue Aufgaben, mehr Verantwortung.“ Aber die Vertretungsbefugnis könne nicht die Lösung sein. „Ungeachtet von ungeklärten Haftungsfragen ist schon jetzt absehbar, dass eine solche Regelung eine juristische Kettenreaktion auslöst, an deren Ende die Präsenzpflicht des Apothekers komplett abgeschafft ist und auch das Fremdbesitzverbot kippt.“
Statt Apotheken mit weniger oder gar keinen Apothekern zu schaffen und dadurch das gesamte System zu gefährden, müsse die Politik vielmehr die Apotheken finanziell so ausstatten, dass sie wirtschaftlich zu betreiben seien und Fachkräfte angemessen bezahlt werden könnten, so Rochell. Deshalb müsse die Vergütung – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – dringend angepasst werden, forderte er nicht zuletzt mit Blick auf die Erhöhung des Mindestlohnes im Januar. Langfristig bereite ihm aber noch mehr Sorgen, dass der Entwurf des Ministeriums keine zielführende Verhandlungslösung vorsehe. Damit rücke eine Dynamisierung des Honorars in weite Ferne.
Scharf kritisierte er auch, dass einige der geplanten Reformregelungen das Ende der flächendeckenden Eigenherstellung zur Folge hätten. Gerade in der Corona-Pandemie und der Lieferengpasskrise habe man gesehen, wie wichtig es sei, dass Apotheken dezentral Arzneimittel produzieren könnten. Die Eigenherstellung zu beschränken, sei nicht zuletzt mit Blick auf die Resilienz in künftigen Krisen und Katastrophen höchst bedenklich.
Wie begründet die Sorgen des AVWL-Vorstandsvorsitzenden sind, bestätigte der Experte für Apotheken- und Heilmittelwerberecht Professor Dr. Elmar Mand. Er analysierte in einem Fachvortrag vor der Mitgliederversammlung die jüngsten Urteile des Bundesgerichtshofes zur Arzneimittelpreisbindung und zur Rechtmäßigkeit von Boni-Werbung, aber auch das aktuelle Reformvorhaben. Große Bedenken äußerte er bezüglich der „PTA-Apotheke“: Die Absicherung des Apotheker-Berufes – zum Beispiel durch das Fremdbesitzverbot – stehe und falle mit der Einheit aus persönlicher heilberuflicher Verantwortung und Haftung des Apothekers, so Mand. Wenn man diese Einheit etwa durch eine PTA-Vertretungsbefugnis aufweiche, dann entstünden Sollbruchstellen und das gesamte System könne ausgehebelt werden.
Was die Preisbindung anbetrifft, wies Professor Mand darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof im Jahr 2016 nicht entschieden habe, dass das deutsche Preisrecht unionsrechtswidrig ist. Vielmehr hätten dem Gericht nur ausreichende Belege gefehlt, also statistische Daten und vergleichbare Mittel, dass die Preisbindung erforderlich ist, um die flächendeckende Versorgung der Patienten zu sichern. Und auch der BGH sah in seiner Entscheidung aus dem Juli dieses Jahres diese Beweise nicht erbracht. Entschieden hatte der BGH zwar über eine Altregelung. Mand zeigte sich aber davon überzeugt, dass auch die aktuelle Regelung der Preisbindung in Zukunft angegriffen werde. Deshalb müsse man nun daran arbeiten, diese mit den geforderten statistischen Daten und vergleichbaren Mitteln zu untermauern.
Zunächst aber müsse man in dem nun anstehenden Gesetzgebungsverfahren noch einmal alle Kräfte mobilisieren, appellierte Rochell abschließend an die Apothekerinnen und Apotheker. Es gelte, verstärkt auf die Politik in Kommunen, Land und Bund zuzugehen, um auf die Schwachstellen der Reform hinzuweisen. „Wir müssen der Politik vor Augen führen, welche Folgen diese Reform für die Versorgung der Menschen in den Kommunen und Wahlkreisen haben wird. Und wir müssen ihr klarmachen, dass die Apotheken nicht Teil der Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen sind. Vielmehr sind sie Teil der Lösung, indem sie Kosten eindämmen – zum Beispiel durch Präventionsleistungen und Impfungen. Wir stehen bereit, hier weitere Aufgaben zur Entlastung des Systems zu übernehmen.“
Voraussichtlich Mitte Dezember solle der Kabinettsentwurf vorliegen, skizzierte Rochell das weitere Verfahren. Sollte die Politik bis dahin in den für die Apotheken wichtigen Punkten nicht deutlich nachgebessert haben, „dann bin ich überzeugt, dass wir mit viel deutlicherenAktionen als Gesprächen Politik und Öffentlichkeit auf die Probleme und Risiken hinweisen müssen“.
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