Milchpumpen für junge Mütter, Inhalatoren für Asthmatiker, wiederbefüllbare Insulin-Pens und Pen-Nadeln für Diabeteskranke, Augenpflaster für Kinder und vieles andere mehr – wer auf solche Hilfsmittel angewiesen ist, wird in den Apotheken vor Ort schnell versorgt. „Auch, wenn die Luft mitten in der Nacht wegbleibt oder die Stillprobleme am Wochenende auftreten“, sagt Karima Ballout, Vorsitzende der Bezirksgruppe Bottrop im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Es sei denn, der Patient ist bei der IKK Classic versichert. Deren Mitglieder können ab dem 1. Juli in vielen Apotheken nicht mehr mit solchen Hilfsmitteln versorgt werden.
Denn die Krankenkasse hat zu Ende Juni den Versorgungsvertrag gekündigt, auf dessen Grundlage die Apotheken bislang deren Versicherten helfen konnten. Einen Anschlussvertrag konnte der Deutsche Apothekerverband (DAV) mit der IKK Classic nicht vereinbaren: Die Krankenkasse unterbreitete ein Preisangebot, welches so niedrig ist, dass die Versorgung der Patienten für die Apotheken unwirtschaftlich wird. Auf Verhandlungen über diese Preise ließ sich die Kasse nicht ein. „Entweder wir Apotheken müssen draufzahlen oder die Patienten die Mehrkosten tragen. Das aber können sich viele, die Hilfe dringend brauchen, nicht leisten. Mit gutem Grund verlangt der Gesetzgeber, dass die Kassen ihren Versicherten eine mehrkostenfreie Versorgung ermöglichen müssen. Wir können uns im Interesse unserer Patienten daher auf das Kassen-Angebot nicht einlassen“, so Karima Ballout.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Krankenkasse versucht, im Hilfsmittelbereich Dumpingpreise durchzudrücken. Vor drei Jahren bereits hat die AOK NordWest im Bereich der Inkontinenzversor-gung Konditionen unterbreitet, zu denen eine Versorgung schlicht unmöglich ist: 11,86 Euro wollte die Kasse nur noch für den kompletten Monatsbedarf eines Inkontinenzpatienten erstatten. „Wer einmal Windeln für einen Säugling gekauft hat, weiß, dass dies kompletter Irrsinn ist“, so Karima Ballout.
„Wir müssen befürchten, dass weitere Krankenkassen diesen sehr schlechten Beispielen im Bereich der Hilfsmittelversorgung folgen und auf diese Weise versuchen werden, Kosten zu drücken – und zwar zu Lasten der eigenen Versicherten und deren Apotheken“, kritisiert Thomas Rochell, AVWL-Vorstandsvorsitzender. Dies sieht er als Beleg dafür, wie dringend reformbedürftig das Gesundheitssystem sei: Insbesondere funktioniere das System der Selbstverwaltung nicht mehr. „Eigentlich ist es der Sinn der Selbstverwaltung, dass Krankenkassen und Leistungserbringer – wie z.B. Apotheken – einen fairen Interessensausgleich aushandeln. Die Kassen aber verhandeln nicht mehr mit uns, sondern diktieren die Konditionen. Und dieses Vorgehen führt dazu, dass die Patienten schlechter versorgt werden“, warnt Thomas Rochell. Zugleich trügen die Kassen dazu bei, dass sich das Apothekensterben weiter fortsetze.
Am Ende sparten die Kassen mit ihrem Verhalten nichts, sondern verursachten zusätzliche Kosten im Gesundheitssystem: Wenn ein Asthmatiker am Wochenende ins Krankenhaus müsse, weil er kein Inhalationsgerät bekommen konnte, komme dies nicht günstiger, sondern teurer. Ebenso, wenn eine junge Mutter mit Stillproblemen aufgrund einer Brustentzündung behandelt werden müsse. „Wir Apothekerinnen und Apotheker wollen unseren Patienten helfen. Das liegt in unserer DNA als Heilberufler“, sagt Karima Ballout. „Umso schlimmer ist es für uns, dies im Falle der IKK-Classic-Patienten nun nicht tun zu können. Wir bitten unsere Patienten hier um Verständnis: Wir können uns auf das ,Angebot‘ der Krankenkasse nicht einlassen, weil wir auf Dauer nicht nur unsere eigenen Betriebe gefährden, sondern insbesondere die gute und wohnortnahe Versorgung der Menschen. Zugleich bitten wir die Patienten, uns zu unterstützen und ihre Krankenkasse aufzufordern, wieder faire Bedingungen zu schaffen. Wir hoffen sehr, dass die Krankenkasse einlenkt und die Politik der Selbstverwaltung neue Leitplanken setzt.“
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