Samstagnachmittag. Die Tochter ist zu Besuch. Sie hat bei den Einkäufen geholfen, ist im Haushalt zur Hand gegangen. Bevor sie wieder fährt, will sie noch die Arzneimittel zusammenstellen. Denn die betagten Eltern benötigen viele Tabletten. Die Packungen aber ähneln sich, Mutter und Vater sehen nicht mehr gut. Es fällt ihnen schwer, allein den Überblick zu behalten. Also hilft die Tochter immer samstags. Für jeden Tag der darauffolgenden Woche drückt sie die Tabletten sorgfältig in ein Dosett – kommt aber diesmal nur bis zum Donnerstag. Dann ist eine der Packungen leer.
Ein neues Rezept muss her, aber die Arztpraxis ist erst am Montag wieder geöffnet. Die Eltern jedoch sind schlecht zu Fuß, die Tochter wohnt nicht ums Eck, ist selbst berufstätig. „Ein typischer Fall“, sagt Dr. Till Ossenkop, Apothekeninhaber in Iserlohn. Unterstützung bieten mittlerweile viele Apotheken vor Ort. Die Digitalisierung macht es möglich. Apotheken können für jeden Patienten individuell Arzneimittel „verblistern“. Das heißt, sie übernehmen die Arbeit der Tochter oder des Pflegedienstes bzw. Seniorenheimes und stellen für jeden Tag und jede Uhrzeit die richtige Medikation zusammen. Die Apotheken wissen auch, wann eine Arzneimittelpackung zu Ende geht, wann also ein neues Rezept vom Arzt benötigt wird und organisieren die weitere Medikation rechtzeitig. „Ohne Softwareunterstützung wäre es nicht möglich, diese Dienstleistung für eine Vielzahl von Patienten anzubieten“, so Till Ossenkop, der auch Vorsitzender der Bezirksgruppe Märkischer Kreis (Nord) im Apothekerver band Westfalen-Lippe (AVWL) ist.
„Zu diesem Zweck erstellen wir einen detaillierten Medikationsplan für die Patienten und speichern diesen gut geschützt im Computer ab“, fügt er hinzu. Mit Hilfe dieses Plans können die Apothekenmitarbeiter die Arzneimittel für jeden einzelnen Patienten wochenweise portionieren. Jedes Rezept, das der Patient verschrieben bekommt wird gescannt. Die Software berechnet, wie lange die Verschreibung bei der vom Arzt vorgegebenen Dosierung ausreicht und wann ein neues Rezept benötigt wird. Sie erstellt dann auf Knopfdruck eine neue Rezeptanforderung, die der Arztpraxis zugestellt wird, sofern der Patient sein Einverständnis erteilt hat. In Zukunft, nach Einführung des E-Rezepts, wird auch diese Rezeptanforderung digital übermittelt. „Ebenso würde ich mir wünschen, dass Ärzte künftig in Absprache mit den Patienten zum Beispiel Dosierungsänderungen direkt auf elektronischem Weg an die Apotheke übermitteln können.“
„Der Service des Verblisterns erhöht die Sicherheit der Arzneimitteltherapie enorm“, sagt Dr. Till Ossenkop. Nicht nur, weil die Senioren nichts mehr verwechseln oder vergessen bzw. ein Mittel aus Versehen zur falschen Tageszeit einnehmen können. Wenn ein Patient mehrere Fachärzte aufsuchen muss, der eine aber nichts vom anderen weiß und jeder ein Mittel verschreibt, kann es zu uner-wünschten Wechselwirkungen kommen. Mit dem Medikationsplan gewinnt die Apotheke den Überblick und kann die Medikation auf solche Interaktionen abchecken.
„Das gibt vor allem Sicherheit, trägt aber auch zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen bei“, sagt Dr. Till Ossenkop. Etwa 3 bis 7 Prozent aller Krankenhauseinweisungen seien arzneimittelbedingt, rechnet er vor. Bei älteren Menschen würden sogar 10 bis 30 Prozent der Einweisungen auf Nebenwirkungen zurückgeführt. „Zwei Drittel dieser Krankenhauseinweisungen und der damit verbundenen Kosten für das System gelten als vermeidbar“, so Dr. Ossenkop. Zudem werde verhindert, dass die Therapie nicht richtig anschlage, weil Patienten Tabletten vergessen oder falsch einnehmen. „Das trägt ebenfalls zur Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung bei.“
Dass dem Apothekenteam ein Fehler beim Portionieren der Tabletten unterläuft, wird mit digitaler Hilfe nahezu ausgeschlossen: Wird das Dosett für die nächste Woche befüllt, scannt der Apotheken-mitarbeiter zunächst die Arzneimittelpackung. Software und Blisterautomat zeigen dann per Lichtsignal an, in welches Fach die Tablette gefüllt werden muss. So werden die Apotheker bzw. pharmazeutisch-technischen Assistenten sicher durch den Füllprozess gelotst.
Jeder Schritt wird dokumentiert: Der Computer speichert automatisch ein Belegfoto und ein detailliertes Protokoll. Ein Bild von den Tabletten sowie alle wichtigen Informationen zu den Mitteln, Dosierungshinweise und Medikationsplan sowie Chargennummern und Verfallsdaten der Präparate können, wenn gewünscht, auf das Etikett der Blisterpackung gedruckt werden.
„Für die Pflegekräfte der ambulanten Dienste und der Seniorenheime, deren Arbeitstag oft sehr eng getaktet ist, bedeutet dies einen deutlichen Gewinn an Zeit“, sagt Till Ossenkop. Für die Tochter ebenso. „Die Minuten, die sie am Wochenende damit verbringt, die Arzneimittel zu portionieren, kann sie viel schöner für ein Gespräch oder einen Spaziergang mit den Eltern nutzen“, so der Apotheker. Kraft und Nerven spare sie außerdem, wenn sie sich keinen Kopf um das nächste Rezept machen müsse.
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