Münster 07.06.2021
Aktuelles

Anpassungsfähig, offen, digital

Innen top, aber die Vernetzung nach außen ist noch optimierungsbedürftig – so bewertet Wirtschaftsinformatikerin Alina Behne die Digitalisierung der Apotheken vor Ort. Seit zweieinhalb Jahren erforscht die Wissenschaftlerin der Uni Osnabrück im Projekt Apotheke 2.0, wie die Versorgung der Patienten mit Hilfe digitaler Unterstützung verbessert werden kann. Woran es derzeit hapert und warum die Apotheken vor Ort dennoch gut aufgestellt sind, erklärt sie hier im Interview.

Nach zweieinhalb Jahren Apotheke 2.0: Wie digital sind die Apotheken vor Ort aus Sicht der Wirtschaftsinformatik?
Alina Behne: Vor dem Start des Projekts kannte ich die Apotheken vor Ort nur aus Kundenperspektive. Professionell hatte ich mich noch nicht mit ihnen befasst. Ich hatte zum Projektstart also eine neutrale Sicht. Zunächst haben wir im Projekt Apothekenteams zum Thema Digitalisierung befragt. Wir wollten wissen, welche digitalen Möglichkeiten die Apotheken vor Ort bereits nutzen, welche sie sich für die Zukunft wünschen. Die Ergebnisse dieser Befragung, wie auch Experteninterviews und der Austausch mit den Apotheken im Verlauf des Projekts haben mich überrascht.

Inwiefern?
Mich hat überrascht, wie stark die Apotheken in den internen Prozessen digital aufgestellt sein können, insbesondere in der Warenwirtschaft und der gesamten Logistik. Apotheken können sich zum Beispiel in Echtzeit mit dem Großhandel austauschen, um noch während des Beratungsgesprächs mit dem Patienten unmittelbar Verfügbarkeit und Lieferzeit des verschriebenen Präparates zu klären und dieses direkt zu bestellen. Hinzu kommen zum Beispiel Kommissionier-Roboter im Apotheken-Lager oder automatische Bestellsysteme. Apotheken sind vor allem mit Blick auf ihre Kernkompetenzen sehr gut aufgestellt, etwa beim Medikationsmanagement für die Patienten. Nach außen jedoch, im direkten Austausch mit den Patienten sowie in der Kommunikation mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens ist noch viel Verbesserungspotenzial, indem Apotheken zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Kundenbetreuung digital unterstützt werden.

Was muss denn verbessert werden?
Generell sind die Kunden sehr zufrieden mit dem Angebot und den Leistungen ihrer Apotheken. Das ist das Ergebnis einer Kundenbefragung, die wir im ersten Halbjahr 2020 durchgeführt haben. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Kunden sehr effizient denken: Sie wollen keinen zusätzlichen Aufwand, sondern meist den für sie bequemsten Weg gehen. Zum Beispiel wollen sie nicht zwei Mal wegen ein- und desselben Medikaments in die Apotheke vor Ort kommen – zur Vorbestellung und zur Abholung. Deshalb sind für die Kunden vor allem digitale Services spannend, die ihnen die Abläufe vereinfachen – wie etwa Online-Bestellungen, Botendienste, E-Medikationspläne. Das müssen die Apotheken bedenken.

Und was muss in der Kommunikation mit anderen Akteuren verbessert werden? 

Digitalserie
Teil I Tante Emma mit Hightech-Labor
Teil II Für jeden die richtige Dosis: Wie Apotheken Tabletten individuell verpacken
Teil III Das E-Rezept kommt - Papier bleibt auch
Teil IV Wenn der Patient keinen Plan hat
Teil V „Der Code ist das Medikament“

Wie gesagt: Ich sehe viel Verbesserungspotenzial in der bereichsübergreifenden Vernetzung im Ge-sundheitswesen und somit im Austausch mit dem Patienten und anderen Gesundheitsdienstleistern. Es gibt viele verschiedene Akteure – und jeder Akteur nutzt sein eigenes System für Patientendaten. Und obwohl seit
Jahren absehbar war, dass ein Austausch zwischen Akteuren wie Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Apotheken und Pflegediensten im Sinne der Patientensicherheit erforderlich ist, gibt es diesen noch immer nicht. Der aktuelle Stand liegt in der bestehenden IT-Infrastruktur begründet, dass nicht ein einheitliches System für alle Akteure entwickelt wurde, sondern sich viele verschiedene Insellösungen durchgesetzt haben. In diesen Lösungen wie beispielsweise Krankenhausinformationssystemen und Praxissystemen sind Schnittstellen zwar grundsätzlich programmiert, erforderliche Anpassungen bei der Anbindung neuer Systeme im Einzelfall müssen aber von den Akteuren - Kliniken, Praxen oder Apotheken - teuer bezahlt werden. Auch bei aktuellen Planungen eines einheitlichen Systems werden teilweise nicht alle Gesundheitsdienstleister wie Apotheker oder Pflegedienst beachtet. Problematisch gestaltet sich auch die Systementwicklung, die häufig noch sukzessiv z.B. nach dem Wasserfallmodell abläuft, dass also zum Start der Entwicklung ein Plan aufgestellt und dann abgearbeitet wird. Moderne Methoden sind agil, sodass Systeme flexibel an neue Anforderungen und Kundenbedürfnisse angepasst werden können. 

Was kann denn der einzelne Apotheker da tun?
Mit Blick auf die Softwaresysteme natürlich wenig. Das ist eine Aufgabe für die Entwickler, für die Politik und die Unternehmen, die Ausschreibungen formulieren. Aber Apotheken können die Herausforderung angehen, indem sie immer wieder neue, vielversprechende Vernetzungsplattformen ausprobieren, auf die anderen Akteure zugehen und auf Möglichkeiten hinweisen. Um die Digitalisierung voranzutreiben, wird zunächst eine hohe Aktivierungsenergie benötigt, danach aber folgt die Ressourceneinsparung durch einen erleichterten Prozess. Dieser Punkt muss den Akteuren bewusst sein. An dem anfänglichen Mehraufwand scheitern viele Vorhaben, was wir auch bei Apotheke 2.0 erfahren mussten. Durch eine vereinfachte Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren über eine gemeinsame Plattform wollten wir die Versorgung von Palliativpatienten verbessern. Das Projekt aber konnten wir nicht in der Praxis umsetzen, weil einigen Akteuren die Zeitressourcen für den Start fehlten. Eine Förderung für solche digital unterstützen Maßnahmen besteht zwar, jedoch ist der Aufwand laut der Apotheker nicht verhältnismäßig – weshalb dieser Aspekt von Seiten der Politik überdacht werden könnte. Veränderungen sind in der Tat zu Beginn aufwendig; auf Dauer aber lohnt sich die anfängliche Investition von Zeit- und Personalressourcen, weil die Digitalisierung die Prozesse vereinfachen und beschleunigen kann. Die digitale Unterstützung schafft Wettbewerbsvorteile, da Zeit meist eingespart und eine Alternative für digital affine Personen geschaffen und somit das Kundensegment erweitert wird. Die Apotheker, die ich als offen gegenüber neuen Technologien und Ideen wahrnehme, müssen den anderen Akteuren immer wieder aufzeigen, dass digital unterstützt eine bessere Zusammenarbeit stattfinden kann: Die enge Vernetzung zwischen Ärzten, Kliniken, Pflegediensten sollte auch hierzulande so gelebt wird wie in anderen Ländern, Großbritannien zum Beispiel.

Was würden Sie den Apothekern für die Zukunft noch empfehlen?
Die Apotheken vor Ort haben eine hervorragende, pharmazeutische Infrastruktur und sind gerade in der zeitkritischen Versorgung der Patienten bestens aufgestellt. Zudem bieten nur sie den menschlichen Kontakt und die persönliche Beratung. Die ist auch durch eine Videoberatung nicht vollständig zu ersetzen, denn der Patient muss ganzheitlich betrachtet werden. Und dennoch müssen die Apotheken vor Ort sich dem Markt anpassen. Das ist in jedem wirtschaftlichen Umfeld so. Wie offen und anpassungsfähig die Apotheken sind, beweisen sie nun in der Pandemie, in der sie immer wieder auf das veränderte Umfeld eingehen – zum Beispiel mit den Teststellen und der Impflieferung. Apotheken, die mit dem Wandel der Zeit mitgehen, haben also sehr gute Chancen zu bestehen. 


Apotheke 2.0

  • Die Universität Osnabrück, der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) und die Gesundheitsregion EUREGIO haben gemeinsam das Projekt Apotheke 2.0 gestartet. 
  • Ziel ist zu erforschen, wie durch den Einsatz digitaler Anwendungen die Ver-sorgung der Patienten gesichert und verbessert sowie die Apotheke vor Ort gestärkt werden kann. 
  • Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung (BULE) gefördert und steht unter der Schirmherrschaft von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. 
     
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Kontakt

Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V.
Willy-Brandt-Weg 11
48155 Münster

Telefon: 0251 539380
Telefax: 0251 5393813
E-Mail: apothekerverband@avwl.de

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